veröffentlicht in: Fehlzeiten + Krankheit

Anwesenheitsprämien sind out, sollte man meinen.

Falsch gedacht. In diesem Blog-Beitrag äußere ich meine Empörung über diesen antiquierten Umgang mit dem Thema Fehlzeiten …

Beim Thema Anwesenheitsprämien geht mir der Hut hoch

Auf SpiegelOnline erschien 2017 ein Artikel über Anwesenheitsprämien bei einem großen Automobilhersteller. Der Beitrag trug die passende Überschrift “Das ist so Neunziger”. Der Autor Matthias Kaufmann spricht mir darin aus der Seele.

Das ist ein Rückschritt ins letzte Jahrtausend.

Was ich da las, hat mich regelrecht auf die Palme gebracht. Wenn ich nicht gerade wieder mal erkältungsbedingt stimmlos wäre, könnten Sie meine Empörung im Podcast hören. Jetzt muss es leider so gehen …

  

Es gibt aber durchaus ein paar Podcasts rund ums Thema Fehlzeiten / Anwesenheit, und auch einen zum Thema Anwesenheitsprämien:GFP_078: Wirkung von Anwesenheitsprämien (Podcast ohne die heutige Empörung …)

Weitere Podcasts zum Thema Anwesenheit / Arbeitsfähigkeit / Fehlzeiten habe ich Ihnen hier zusammengestellt:

Und zwar die 22 Gesund-Führen-Podcasts
002, 004, 008, 030, 031, 039, 062, 064 bis 069, 075 bis 077, 080 bis 086.

Allesamt zu finden unter: www.gesund-führen-podcast.de

Wenn Sie sich jeden Tag 1 davon gönnen, sind Sie 1 Arbeitsmonat lang jeweils 5 Minuten aufs Thema Fehlzeiten fokussiert. Das bringt Ihnen und Ihrem Team garantiert mehr als Anwesenheitsprämien 🙂

Anwesenheitsprämien sind Ausdruck von Misstrauen – und sie säen es!

Wer Menschen für körperliche Anwesenheit belohnt, unterstellt damit: “Du nutzt deinen Entscheidungsspielraum in Sachen Krankmeldung [Anm.: Immerhin ist es schön, dass dessen Existenz zugestanden wird …] nicht freiwillig im Sinne des Unternehmens. Du könntest, wenn du wolltest.” Eine böse Unterstellung.

Und zweitens wird zugleich Misstrauen gesät. Ich persönlich würde einem Arbeitgeber, der glaubt, mich durch 50 Euro pro Quartal “heilen” zu können – der mir also unterstellt, dass meine Krankheiten nicht wirklich gravierend sind -, nicht mehr über den Weg trauen.

Und Kollegen, die “nehmen, was sie kriegen können”, werden nie fürs Unternehmen brennen; die haben sich innerlich längst verabschiedet. Da braucht man dann wieder Retention-Programme, achja 😉

Mit Anwesenheit allein ist niemandem geholfen

Da hat jemand den Schuss nicht gehört … Weil es so gut passt, habe ich Ihnen hier noch einmal die Fehlzeiten-Uhr integriert:

fz-frueher-heuteFrüher ging es um die, die mutwillig der Arbeit fern geblieben sind (“Absentismus”).

Dann ging es um die Anwesenden, das war schon ein großer Schritt – dass man sich um diejenigen kümmert, die zur Arbeit kommen. Gesundheitsförderung als Stichwort. Mitarbeiterpflege.

Aber die Uhr hat sich weiter gedreht.

Heute weiß man – nicht nur wegen des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels – dass die Arbeitswelt auf niemanden mehr verzichten kann. Es geht um die Arbeitsfähigkeit. Und zwar die von allen. Die Uhr als Ganzes.

Es geht um viel mehr als ums körperliche Da-Sein – auch für Führungskräfte

Eine Führungskraft muss sich heute beim Thema Krankenstand um viel mehr kümmern. Ihre Aufgaben sind vielfältiger als früher (das verdient Respekt – und Unterstützung, und zwar nicht in Form von 50-Euro-Scheinen).

Dazu gehört die Verhinderung von Präsentismus (zu dem Anwesenheitsprämien beitragen!) ebenso wie die betriebliche Wiedereingliederung von Langzeitkranken, auch psychisch Erkrankten; natürlich gehören auch die Noch-Gesunden und Nicht-mehr-Kranken dazu.

Sowie die Immer-Gesunden (besser: die Selten-Fehlenden), von den andere vielleicht etwas lernen können; und die sich über ein Anwesenheitsanerkennungsgespräch erfahrungsgemäß (! ich habe Meinungen gesammelt) mehr freuen als über 50 Euro.

Und die Noch-nicht-Kranken freuen sich übrigens, wenn die Schon-Kranken-aber-trotzdem-Anwesenden sie nicht anstecken

Gesundheit ist nicht immer machbar. Und wer krank ist, ist nicht schuld

Diese Illusion der Machbarkeit von Gesundheit, wenn man nur brav Joggen geht, das Rauchen lässt und dies und das, Sie wissen schon, empört mich immer wieder. Darüber habe ich mich ja auch in dem Buch Mehr als nur Gesundheit: Was Unternehmen brauchen ausgelassen.

Ja, es wäre schön, wenn wir alle uns in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit in körperlicher, psychischer und sozialer Sicht gesund verhielten; wir alle arbgeiten unterstützt durch interne und externe Beraterinnen und andere Fachleute darauf hin – aber das ist eine Utopie. Und selbst wenn wir es schafften, uns immer gesund zu verhalten: Krankheiten gäbe es trotzdem.

Die Menschenfreundlichkeit eines Unternehmens (hey, ich habe gehört, dieser Faktor beeinflusst die Arbeitgeber-Attraktivität!) zeigt sich auch in seinem Umgang mit Alten, Kranken, Schwachen. Und die werden immer mehr, auch innerbetrieblich. Weil kein Unternehmen sich leisten kann, auf sie zu verzichten. Hach, das werden gute Zeiten. In denen Anwesenheitsprämien nichts verloren haben.

Auch im Ländle: Schaffe isch net immer möglich

Mit den Menschen aus dem Ländle kenne ich mich auch aus privaten Gründen ganz gut aus. Und auch mit Betriebsangehörigen des genannten Automobilherstellers (ich fahre sogar eines seiner Produkte und bin höchst zufrieden) habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Die ticken bei weitem nicht alle so zahlenwütig-hilflos.

Da gibt’s auch viele mit dem Herzen am rechten Fleck, “die wo wisset, wie man andere wirklich motiviert”. Nämlich von Mensch zu Mensch. Und ja, die Arbeit steht trotzdem in der persönlichen Wertehierarchie ganz oben. Ich persönlich finde das sehr sympathisch. Bei mir ist das ähnlich. Daher wundert es mich, dass andere in diesem Unternehmen zu denken scheinen:

“Ja, wenn der bloß da wär,
dann däd der au schaffe!”

Sorry. Das ist Mumpitz. Wenn der Mensch so krank ist, dass er nicht arbeiten kann, dann gehört er nicht in den Betrieb. Bei Ansteckungsgefahr erst recht nicht. Und auch nicht, wenn die Gefahr besteht, dass seine Gesundheit langfristig geschädigt wird, sofern er seinen Genesungsprozess frühzeitig beendet, indem er zu früh wieder in Vollzeit zur Arbeit kommt.

Abgesehen davon, dass sein Leistungsvermögen vermutlich nicht das tollste wäre.

Eine niedrige Quote ist nicht gleichbedeutend mit hoher Produktivität.

Vielleicht kennen Sie schon diese Postkarte zu meinem Programm “Mehr als nur Gesundheit“:

Postkarte - deshalb helfen auch keine Anwesenheitsprämien

Ein Höchstmaß an Produktivität
gibt es nur mit
einem Höchstmaß an gesunden und arbeitsbereiten (also motivierten!) Mitarbeitenden.

Und dass Motivation sich nicht kaufen lässt, sollte sich ja inzwischen herumgesprochen haben.

Warum also heute, im 21. Jahrhundert, immer noch dieser antiquierte Griff zur Anwesenheitsprämie? Meiner Meinung nach gilt:

Das ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit …

Da weiß sich jemand nicht anders zu helfen. Und vermutlich widerstrebt es ihm, mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu gehen. Er möchte lieber verwalten. Vom Schreibtisch aus. Das ist sicherer 😉

Die Verantwortlichen für diese Steinzeit-Keule aus der Fehlzeitenbekämpfungskiste würde ich gern fragen:

Wollen Sie gute Zahlen produzieren? Oder wollen Sie gut produzieren?

Wollen Sie eine Präsenzkultur? Oder eine Gesundheitskultur?

Wollen Sie ein Kultur, in der sich auch psychisch Erkrankte wohlfühlen? Wohin diese freiwillig zurückkehren?

Ich persönlich bin ja fest davon überzeugt, dass wir in Deutschland bald nicht mehr anders können werden, als Teilzeit-Krankschreibungen einzuführen. Auch angesichts der Verschiebung hin zu Langzeit- und psychischen Erkrankungen.

Unter bestimmten Voraussetzungen halte ich das für gesundheitsfördernd. In jedem Fall konstruktiver und menschenfreundlicher sowie psychologisch sinnvoller als Anwesenheitsprämien.

  Kleine Anmerkung für die Zahlen-Menschen unter den Lesern: Für den Arbeitgeber belaufen sich die krankheitsbedingten Kosten auf 3.598 Euro jährlich pro Arbeitnehmer. Davon entfallen zwei Drittel – nämlich 2399 Euro – auf Präsentismuskosten und nur 1199 Euro pro Jahr auf Fehlzeitenkosten. Dies ergab eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company im Auftrag der Felix-Burda-Stiftung.
Hier nachzulesen: Studie “Vorteil Vorsorge”

So, nun habe ich mich mal wieder regelrecht ausgetobt, was das Thema Fehlzeiten angeht …

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Über die Autorin

Anne Katrin Matyssek

Hier im Blog von "do care!" finden Sie meine Meinung, Empfehlungen und Standpunkte zu aktuellen Themen und zu Evergreens rund um Fehlzeiten, Betriebskultur und gesundheitsgerechte Führung.
Mit meinen Materialien unterstütze ich Profis, die in Firmen und Behörden mit Führungskräften arbeiten und so für mehr Wohlbefinden und Echte (!) Anwesenheit im Betrieb sorgen.

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