Interview mit Robert Kath

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Dieses Interview bildet den Auftakt zu einer neuen Reihe rund ums Thema „Fehlzeiten“. Den Anfang macht Robert Kath, Geschäftsführer Interner Service der Arbeitsagentur Rostock.

Fehlzeiten-Senkung bei der Agentur für Arbeit:

„Anwesenheit fördern ohne Druck und Zwang“

Interview mit Robert Kath,
Geschäftsführer Interner Service der Arbeitsagentur Rostock

Wie ich Herrn Kath kennengelernt habe:

Robert Kath, Geschäftsführer Interner Service der Arbeitsagentur Rostock
Robert Kath, Geschäftsführer Interner Service der Arbeitsagentur Rostock

Eine der ausgebildeten Gesund-Führen-Trainerinnen, Janice Williamson (www.gesunde-performance.de), schwärmte regelrecht vom vielschichtigen Vorgehen zur Anwesenheitserhöhung, das Herr Kath konzipiert hat und das u.a. eine 1wöchige Ausbildung von Gesundheitsberaterinnen beinhaltete.

Das hat mich neugierig gemacht – und freundlicherweise erklärte Herr Kath sich bereit, sein Vorgehen im Interview vorzustellen.

Zur Person:

Die Internen Services der Bundesagentur für Arbeit sind eine Form von Shared-Services Organisationen. Herr Kath verantwortet mit seinem Team u.a. die Personaldienstleistungen für fünf Agenturen und zehn Jobcenter in Mecklenburg-Vorpommern.

Damit sind nicht nur die eigenen 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichbar, sondern zumindest auch indirekt die 3500 Beschäftigten, für die er und sein Team Dienstleistungen in irgendeiner Art erbringen.

 

Was war Ihr Antrieb, das Thema Fehlzeiten anzugehen?

Wir haben eine Gesundheitsquote von 91 %, Tendenz fallend. Wir erfassen allerdings jegliche Form von Arbeitsunfähigkeit, also auch jene ohne Schein. Krankenkassen können das nicht, und daher sind die veröffentlichten Statistiken nicht 1:1 vergleichbar. Wenn man unsere Werte entsprechend bereinigt, liegen wir bei 7-8 % Krankheitsquote. Das sind erhebliche Ressourcenentzüge, die wir nicht einfach so hinnehmen wollen und können.
Wir haben gute Angebote im Bereich der Prävention und auch gute Prozesse beim BEM (Betrieblichen Eingliederungsmanagement), aber da kommen selten fitte Leute bei raus, mal etwas salopp gesagt. Also müssen wir viel früher anfangen an dem Thema zu arbeiten.

Ich möchte, dass wir tätig werden, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Mein Eindruck ist, dass zumindest einige Führungskräfte unsicher beim Umgang mit Abwesenheiten aufgrund von Krankheit sind. Wenn jemand aufgrund einer Feierlichkeit oder einer Fortbildung abwesend war, ist das Begrüßungsgespräch kein Problem. Aber bei krankheitsbedingter Abwesenheit wird die Ursache schon mal ignoriert oder totgeschwiegen.

Ich habe gesagt, wenn die Leute im Durchschnitt 22 Tage krank sind, dann gibt es da einen beeinflussbaren Anteil.

Auch bei uns flüchtet mal jemand in Abwesenheit. Das muss man thematisieren und offen ansprechen, von allein wird selten etwas besser.

Wir haben bei der betrieblichen Gesundheitsförderung viele Sachen im Angebot und das wird auch gut angenommen. Aber beim Thema Anwesenheitsförderung spielt meiner Meinung nach der Faktor Führung eine essentiell wichtige Rolle. Die Führungskräfte kennen sowohl die Leistungsträger als auch die Problemfälle in ihrem Team am ehesten. Sie können die Anwesenheit unmittelbar fördern, zumindest mal schätzen und thematisieren.

Kein Strohfeuer zu zünden, das war mir wichtig.

Ich wollte, dass wir ein niederschwelliges Unterstützungsangebot für unsere Führungskräfte schaffen. Deshalb habe ich in einem ersten Schritt 17 Leute zu Gesundheitsberaterinnen und Gesundheitsberatern qualifizieren lassen.

War das ein freiwilliges Angebot?

Ja, natürlich war das freiwillig und auch nicht an Tätigkeitsebenen festgemacht, sondern am Interesse. Das Angebot zur Qualifizierung wurde den Agenturen und Jobcentern unterbreitet und dann wurde das in die Mitarbeiterschaft gegeben. Es konnten oder wollten allerdings nicht alle Häuser gleich mitmachen. Das finde ich auch in Ordnung, denn erstens kann man dann sehen, wie es läuft, und zweitens wird Gutes dann auch gern kopiert.

Die Gesundheitsberater sollen einfach als Ansprechpartner und Unterstützer da sein, bevor es um arbeitsrechtliche Schritte geht. Sie können zum Beispiel einen Arbeitskreis zum Thema Gesundheit moderieren. Wir wollten Akteure platzieren, die zwanglos außerhalb der Linienorganisation ansprechbar sind. Das ist jetzt ein zartes Pflänzchen und wir dürfen die Kolleginnen und Kollegen auch nicht gleich überfordern.

Ablauf des Führungskräfte-Forums der Agentur für Arbeit Rostock
Ablauf des Führungskräfte-Forums der Agentur für Arbeit Rostock

Im Folgenden gab es eine zentrale Veranstaltung, zu der 160 Führungskräfte erschienen sind: das Führungskräfte-Forum. Insgesamt gibt es bei uns in Mecklenburg-Vorpommern etwa 200 Führungskräfte, aber man kann nie alle erreichen. Diese 160 haben sich für das Thema interessiert – der Rest kommt nach.

Wir haben sie gewonnen über ihre eigene Betroffenheit.

Der Tenor lautete: „Du bist auch Mitarbeiter und du wirst auch geführt.“ Die Führungskräfte wurden angeregt zur Auseinandersetzung mit der Frage: Wie wirke ich auf meine Mitarbeiter?

Frau Williamson hat einen Vortrag gehalten. Inhaltlich war da gar nicht so viel Neues drin, aber darum ging es auch nicht, sondern darum, in Erinnerung zu rufen, wie wir eigentlich führen wollen. Den Rückmeldungen nach, kam die Veranstaltung gut an.

Am Nachmittag haben wir dann gesagt: Weniger ist mehr. Da gab es zwei Themen im Workshopformat:

  1. Willkommensgespräche an Fallbeispielen
  2. Gesundheitsgespräche, also ein intensiveres Gespräch nach mehreren Abwesenheiten oder bei schwierigen Konstellationen

 

Wie haben die Führungskräfte darauf reagiert?

Die erste Reaktion von vielen war: „Das mach‘ ich doch schon!“ Wir haben dann aber auch gepiekt und reflektiert, ob diese Gespräche wirklich mit allen und wirklich nach allen Abwesenheiten geführt wurden – auch mit denen, die man nicht so sehr mag.

Und es stellte sich heraus, dass es sehr wohl Unterschiede gab, und dass die Gespräche eben nicht immer und nicht mit allen geführt wurden.

An diesem Nachmittag haben wir auch weitere Unterstützungsangebote vorgestellt, wie die Suchtberatung zum Beispiel. Die Führungskräfte sollten die Botschaft erhalten: „Du bist nicht allein.“

 

Wie stellen Sie sicher, dass das Ganze nachhaltig ist?

Auf vier Wegen:

Erstens durch die Gesundheitsberater, die die Führungskräfte aufsuchen. Führungskräfte kommen ja nicht von allein – “meine Tür ist immer offen” funktioniert auch hier nicht. Die Gesundheitsberater müssen hingehen, alle 2-3 Wochen. Sie sollen hören, welche Erfahrungen gemacht wurden und wie mit der Thematik umgegangen wird. Als Türöffner können sie jeweils eins der 21 eBooks verteilen (Anmerkung: Chef-eBooks zum Thema „Gesund Führen“). Damit erhalten die Führungskräfte eine Unterstützung in ihrer speziellen Situation, und die Gesundheitsberater haben einen Anlass, um ins Gespräch zu kommen.

Dann gibt es zweitens eine zentrale Runde mit mir im Dezember, dort treffe ich die 17 Gesundheitsberater.

Drittens findet mindestens zweimal im Jahr in jeder Agentur der sogenannte Arbeitskreis Engagement und Gesundheit statt. Hier sind auch andere Themen als Gesundheit denkbar. Wir nutzen das Format jetzt aber auch, um das Thema Anwesenheitsförderung auf der Ebene der Geschäftsführung gemeinsam mit den Gremienvertretungen zu besprechen.

Darüber hinaus gibt es Formate vor Ort. In der Agentur in Rostock gibt es zum Beispiel einen Führungskräfte-Austausch zum Thema Gesundheit.

Das ist ein Nachmittag, an dem wir Stehtische als Themen-Inseln aufstellen und wo sich die Teamleiterinnen und Teamleiter untereinander austauschen können.

Die Initiative ging hier von der Chefin des Hauses aus. Es war und ist ihr wichtig zu wissen, wie es ihren Führungskräften bei diesem Thema ergeht – besser geht es nicht. Die anderen Agenturen und Jobcenter haben das zum Teil anders organisiert, etwa indem sie den Austausch in Dienstbesprechungen o.ä. integrieren. Hier muss jeder seinen eigenen Ansatz finden.

 

Was haben Sie denn bis dahin bzw. vorher schon zu dem Thema gemacht?

Es mangelte noch nie an Konzepten und Broschüren, allein am Tun. Die Gesundheitsstrategie ist bei der Bundesagentur für Arbeit schon recht weit und auch ganzheitlich angelegt. Einen Arbeitskreis Gesundheit hatten wir auch schon immer, aber da ging es primär nur darum, Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements vorzustellen – alles zu passiv.

Es ist aber so, dass die Einheiten immer kleiner werden und die anderen es auffangen müssen, wenn jemand krank ist.

Das Thema wird allein deshalb wichtiger, weil wir insgesamt kleiner werden und so effizient sind, dass Abwesenheiten nicht dauerhaft kompensiert werden können.

Eine Führungskraft kam zu mir und sagte: „Ich habe einen Krankenstand von 17 % und brauche mehr Personal.“ Das Bewusstsein, dass man die Anwesenden hegen und pflegen muss und auch selbst Einfluss nimmt auf die Anwesenheit, ist noch nicht überall verankert.

Vor dem Führungskräfte-Forum hatten wir den Selbstcheck „Führe ich gesund?“ zur Vorbereitung verschickt und bewusst dazu gesagt: „Das werten wir nicht öffentlich aus, ist nur für Dich!“

Es gibt sicher auch andere Wege zur Fehlzeiten-Reduzierung, aber: Willkommensgespräche zu führen ist immer richtig. Man sollte nicht immer nur auf die Zahlen gucken. Wir müssen die Leute bei Laune und bei der Stange halten, die morgens überlegen, ob sie zur Arbeit kommen. Du brauchst keine Zahlen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Ich will auch keine Zahlenpräsentation. Zahlen brauchen wir, wenn es arbeitsrechtlich relevant wird, dann haben wir die auch. Aber Zahlen als solche verändern nichts.

Die Führungskraft muss das Signal geben: „Ich möchte, dass du hier bist, weil ich dich brauche. Du warst jetzt öfter freitags nicht da. Was ist los?“ Solch ein Gespräch wirkt mehr als ein Vergleich nach dem Motto „Der andere hat eine Anwesenheitsquote von 92% und du nur von 89%“. Denn wenn man so vorgeht, landet man sofort bei der Defizit-Erklärung. Dann sagt der mit den 89%: „Ich hab aber Schwangere und ich hab die ganzen Alten.“

Wir müssen mehr über die Führungsarbeit und die Führungsrolle sprechen. Wenn Leute sich in Abwesenheit flüchten, geht uns etwas verloren.

Andere hingegen meinen, Körner essen und Sport machen wäre das Wichtigste, aber das ist es meiner Meinung nach nicht, was die Leute anspricht. Die Menschen lassen sich auch nicht gern sagen, „mach mal mehr Sport“.

 

Was sind denn Ihre Erfolgskriterien?

Wie aktiv wird das gemacht? Das reicht mir erst mal.

Wenn man miteinander spricht, dann haben wir schon gewonnen.

Unser Altersdurchschnitt liegt bei 54 ein halb Jahre. Unsere Arbeitsverhältnisse hier sind anders als in der Industrie auf Dauer angelegt. In den ersten zehn Jahren ist Gesundheit meist noch keine Herausforderung. Aber in den letzten zehn Jahren bis 67, da wird es schwierig. Und es ist erschreckend, wenn Leute 30-40 Jahre dabei sind, und zum Schluss sagen: aber das Ende war nicht gut – weil sie nicht fit genug waren ihren Job zu machen und es keine guten Alternativen gab.

Wir müssen es schaffen, die Masse der Leute fit ins Ziel zu bringen.

 

Wir halten Sie selber sich gesund?

Ich versuche, im Durchschnitt mit 45 Stunden pro Woche auszukommen, und das klappt auch. Ich bin kein Asket, aber ein bisschen Sport und vernünftige Ernährung gehören einfach dazu. Und man muss auch Stress und Resilienz für sich selber belegen. Die Techniken dafür habe ich auch selbst erst erlernen müssen. Ich will doch bis zum Schluss Spaß am Arbeitsleben haben!

 

Lieber Herr Kath,
herzlichen Dank für diesen umfassenden Einblick in Ihre Herangehensweise beim Thema Fehlzeiten in der Agentur für Arbeit! Mich persönlich beeindruckt neben der vielschichtigen Vorgehensweise insbesondere Ihr Menschenbild – diese tiefe Überzeugung, dass die direkte Ansprache von Mensch zu Mensch etwas bewirkt in Richtung “Wohlbefinden bei der Arbeit”. Und ganz stark finde ich Ihren Anspruch: “Wir müssen es schaffen, die Masse der Leute fit ins Ziel zu bringen.” – Dabei wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen viel Erfolg!

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